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Oberhessische Presse, Marburg, 19. Mai 1960

 
     

Ernst Vollbehr gestorben

In seinem Haus in Krumpendorf, von dem aus sein Blick weit über die Fläche des Wörthersees hinüber zum blauen Bergzug der Karawanken schweifte, ist am vergangenen Freitag (13. Mai 1960 - K.S.) - wie wir erst jetzt erfuhren - der Tropenmaler Prof. Ernst Vollbehr gestorben. Nach völliger Ausbombung in Berlin und vorübergehendem Aufenthalt in Norddeutschland hatte der Siebzigjährige nach dem zweiten Weltkrieg im Marburger Heim seiner Frau, einer Tochter des Geheimrats Küch, Zuflucht und Bleibe gefunden. Hier weilte er in den Wintermonaten, zeigte seinen Freunden die auf vielen Weltreisen gemalten Temperabilder und erzählte - mit niederdeutschem Schalk - die zahllosen Abenteuer und Streiche eines bewegten und von der Gunst des Schicksals reich beschenkten Lebens; während des Sommers wohnte er in Kärnten, im Haus über dem Wörthersee.


Vielleicht entsinnt sich mancher Marburger noch der Ausstellung von Eingeborenen-Porträts, einer Auswahl von rund 150 Blättern aus den etwa 1000 Arbeiten des "Maler-Chronisten" - wie er sich gerne nannte -, die anläßlich seines 80. Geburtstages 1956 vom Universitätsmuseum gezeigt worden ist; in diesen Bildnissen von Afrikanern spiegelte sich sowohl die Vollbehr eigene präzise Erfassung der Wirklichkeit in flüchtigen Skizzen wie sein ausgeprägtes wissenschaftliches Interesse. Von seiner ersten Amazonasfahrt (1906/07) in der er eine wissenschaftliche Expedition begleitete, bis zu seinen Schlachtenbildern des ersten und zweiten Weltkrieges ist es mehr die verläßliche Dokumentation der Wirklichkeit als die künstlerische Verwandlung der Welt, was ihn bewegt. So muß sich immer, wenn Vollbehrs Leistung als die eines "Kunstmalers" gewertet wird, ein Mißverständnis einstellen; seine hohe und akademisch (bei Bantzer in Dresden und Menard in Paris) geschulte malerische Kunstfertigkeit war stets nur Mittel zum Zweck: festhalten und überliefern, was seine Augen sahen, das war seine Leidenschaft.


Und was alles durften diese Augen in dem halben Jahrhundert bewußten Erlebens aufnehmen: die Safaris ins Innere Afrikas vor dem ersten Weltkrieg, dann in den zwanziger Jahren die Insulinde, Ceylon, Britisch Indien, die Philippinen, in den dreißiger Jahren China, Japan und Kalifornien führten ihn tief ins unberührte Land, wo er Menschen und ihre Sitten beobachtete und in fleißiger Arbeit seine Eindrücke zu Papier brachte: mit Pinsel und Feder; die zahlreichen Tagebücher Vollbehrs harren noch ihrer Erschießung.


Breiten Schichten des deutschen Volkes ist Vollbehr als "Frontmaler" des ersten Weltkrieges bekanntgeworden. Seine - meist vom Fesselballon gemachten - Farbskizzen von Schlachtverläufen besaßen einen Grad von Authentizität, daß sie den großen Veröffentlichungen des Generalstabes über den ersten Weltkrieg als Illustration beigegeben wurden. Mehr als tausend solcher Blätter waren vom Reich für das Berliner Zeughaus angekauft worden, von wo sie nach dem zweiten Weltkrieg nach Sowjetrußland verschleppt worden sind. Man hat Vollbehr verübelt, daß er sein Chronistenhandwerk auch im Dritten Reich fortführte: er hat den Bau der Reichsautobahnen im Bilde festgehalten und hat auch noch einmal - im Zeitalter beginnender Farbfotografie ein wenig anachronistisch - als Frontmaler die deutschen Truppen in Frankreich, Rußland, Griechenland und Norwegen begleitet; das was geschieht, malerisch zu fixieren, war zeit seines Lebens seine stärkste Leidenschaft.


In den letzten Jahren hat sich Vollbehr noch um die Erhaltung seines umfassenden Lebenswerkes sorgen müssen; nach vergeblichen Bemühungen, ein westdeutsches Museum zur Uebernahme und Auswertung zu gewinnen, hat schließlich das Leipziger Nachfolgeinstitut des ehemaligen Reichsländerkundemuseums den gesamten Bestand erworben. So wurde verhindert, daß ein einzigartiger Dokumentenschatz, der uns Einblick gibt in die tropischen Länder vor einem halben Jahrhundert, noch ehe die Welle der modernen Zivilisation dort alle Lebensbedingungen grundlegend verwandelte, auseinandergerissen wurde.


Kurz nach Vollendung seines 84. Lebensjahres hat dieser Maler-Weltenbummler nun die letzte Safari angetreten. An Marburg, das ihm in seinen späten Jahren zur Wahlheimat wurde, hing er mit Dankbarkeit. Aber seine Heimat war die ganze Welt. In seinen Bildern hat er uns ein wenig von dem hinterlassen, was in einem reichen Leben die Augen sehen durften, die sich nun für immer geschlossen haben.


R.Z.